FrĂŒher hiess die Antwort auf die Frage «Was willst du mal werden?» oft noch: Ărztin, LokfĂŒhrer, Schauspieler, Sportlerin. Heute dagegen hat sich der Berufswunsch vieler junger Menschen gewandelt. Immer hĂ€ufiger lautet die Antwort: Influencerin. Auf den ersten Blick scheint das wie ein Traumberuf: ein bisschen posieren, in die Kamera lĂ€cheln, schicke Klamotten tragen â und damit viel Geld verdienen. Doch was fĂŒr Aussenstehende wie ein mĂŒheloser Weg zum schnellen Erfolg aussieht, birgt in Wirklichkeit auch eine Kehrseite, die gerne ĂŒbersehen wird. Da lauern immense Herausforderungen, die nicht nur psychischen Druck, sondern auch ethische Fragen aufwerfen.
Der Dokumentarfilm «Girl Gang» der Schweizer Regisseurin Susanne Regina Meures zeigt, was der Job einer Influencerin wirklich beinhaltet. Dass der Ruhm oft auch mit Selbstausbeutung und der permanenten Jagd nach Klicks und Followern verbunden ist.
Im Mittelpunkt des Films steht die 14-jĂ€hrige Leonie aus Berlin, die als Teen-Influencerin Millionen von Followern in ihren Bann zieht. Ihr Aufstieg zur Social-Media-BerĂŒhmtheit ist exemplarisch fĂŒr einen Trend, der immer mehr Jugendliche fasziniert: «Was «Girl Gang» zeigt, ist Ă€hnlich faszinierend wie Reality-Doku-Serien, die gleichermassen die Lust am Voyeurismus wie auch die Schadenfreude bedienen», schreibt die NZZÂ ĂŒber die Dokumentation. Was fĂŒr viele Aussenstehende wie ein modernes MĂ€rchen erscheint, entpuppt sich bei nĂ€herer Betrachtung als ein Leben unter Dauerstress und Dauerdruck. Jeder Post, jedes Video wird akribisch geplant und inszeniert. Die Grenzen zwischen AuthentizitĂ€t und Performance verschwimmen zusehends, bis sie ganz verschwinden.
Ein interessanter Aspekt des Films ist die Rolle von Leonies Eltern. Sie haben ihre eigenen Berufe aufgegeben, um sich Vollzeit dem Management ihrer Tochter zu widmen. Diese Entscheidung wirft Fragen auf: Wie verĂ€ndert sich die Familiendynamik, wenn das Kind zum Hauptverdiener wird? Welche langfristigen Auswirkungen hat dies auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind? Oder, wie es im «Kultur Kompakt»-Podcast von SRF-Kultur heisst: Der Film zeigt, wie die Eltern «zwischen FĂŒrsorge und Ausbeutung» agieren. Sie sind einerseits stolz auf den Erfolg ihrer Tochter, andererseits scheinen sie die möglichen negativen Konsequenzen dieses Lebensstils auszublenden.
Leonies Eltern sind lĂ€ngst nicht die einzigen, die aus der Karriere ihrer Kinder eine eigene gemacht haben. Auch der Fall von Ryan Kaji, einem jungen US-amerikanischen Youtube-Star, ist bemerkenswert. Bereits im Alter von 8 Jahren verdiente Ryan 2019 laut Forbes 26 Millionen Dollar und war damit der bestbezahlte Youtube-Creator. Seine Eltern managen seinen Kanal «Ryan's World» mit ĂŒber 27 Millionen Abonnent:innen und haben rund um ihren Sohn ein Medienimperium aufgebaut. Ein weiteres Beispiel ist die Familie LaBrant aus den USA. Cole und Savannah LaBrant prĂ€sentieren ihr Familienleben mit ihren fĂŒnf Kindern auf Youtube und Instagram. Ihre Ă€lteste Tochter, die 12-jĂ€hrige Everleigh, hat bereits 4.9 Millionen Instagram-Follower. Die Eltern stehen in der Kritik, weil sie das Leben ihrer Kinder stĂ€ndig online zur Schau stellen.
Der Film «Girl Gang», fĂŒr den die Schweizer Regisseurin Meures Influencerin Leonie wĂ€hrend mehrerer Jahre begleitete, spiegelt auch die TrĂ€ume vieler Jugendlicher wider, die gerne mal so werden möchten wie Leonie. Insofern ist der Film ein guter RealitĂ€tscheck und Anschauungsunterricht. Denn er zeigt deutlich auf, dass das wirkliche Influencer-Leben weit weniger glamourös ist als das nach aussen projizierte Bild. Die stĂ€ndige Selbstdarstellung, der Druck, immer perfekt zu erscheinen und die AbhĂ€ngigkeit von Likes und Followerzahlen können erhebliche psychische Belastungen mit sich bringen.
Schattenseiten hin oder her - der Influencer-Markt wĂ€chst stetig weiter. Der «Swiss Influencer Marketing Report 2020» zeigt die hohe Relevanz von solchem Marketing bei jungen Zielgruppen auf: 76 Prozent der befragten Millennials sehen Instagram als wichtigste Plattform. GlaubwĂŒrdigkeit wird von allen befragten Gruppen als zentrales Merkmal guter Influencerinnen-Werbung genannt: 71 Prozent der Millennials, 83 Prozent der Marketingverantwortlichen und 94 Prozent der Influencer stimmen dem zu. Fast die HĂ€lfte (45 Prozent) der Millennials wĂŒnscht sich zudem mehr Transparenz durch klare Kennzeichnung von Werbeinhalten.
Das PhÀnomen der Influencerinnen und Influencer wirft grundsÀtzliche gesellschaftliche Fragen auf: Wie verÀndert sich unsere Wahrnehmung von Erfolg und Selbstverwirklichung? Welche Auswirkungen hat die stÀndige Selbstdarstellung auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen? Als Reaktion auf die wachsende Bedeutung von Social Media und Influencern beschÀftigen sich verschiedene Organisationen und Institutionen in der Schweiz mit dem Thema Medienkompetenz und Medienbildung. So auch wir von YouMedia. Unsere Hosts sind mit dem Peer to Peer-Ansatz im Dialog mit jungen Menschen und beleuchten dabei unter anderem auch das Influencertum. Und wir sind in engem Austausch mit dem Verlegerverband Schweizer Medien, der wiederum ein breites Netzwerk an Partnerinnen zu diesem Thema pflegt.