Der Kreml gibt den Ton an. Im Zusammenhang mit dem Krieg, den Russland in der Ukraine fĂŒhrt. Nicht Russland sei der Kriegstreiber, wird behauptet, sondern westliche Akteure wie die NATO, die USA, Deutschland oder Frankreich. Russland inszeniert sich als Opfer westlicher Aggression. Und PrĂ€sident Putin reagiert angeblich nur auf Provokationen gegen sein Land. Die Ukraine, so wird weiter suggeriert, sei ein durch und durch korruptes Land, gefĂŒhrt von einem MilliardĂ€r, der seine eigenen Interessen ĂŒber die seines Volkes stelle. Auf verschiedenen KanĂ€len, vor allem auch via Social Media, werden solche Darstellungen in die Welt gesetzt. Immer mehr erreichen diese einseitigen und manipulativen Berichte auch Schweizerinnen und Schweizer.
In einer Studie der Hochschule Luzern wurde die Rolle dieser «alternativen Medien» in der Schweiz genauer untersucht â mit aufsehenerregenden Ergebnissen. Portale wie «Uncut News» und «Alles Schall und Rauch», die sich als unabhĂ€ngige Informations-Quellen tarnen, ĂŒbernehmen hĂ€ufig direkt die Berichte russischer Propagandamedien und verbreiten diese nahezu wortwörtlich weiter, berichtet der «Tages-Anzeiger». Besonders im Kontext des Ukraine-Kriegs fĂ€llt auf, wie stark sich deren Darstellung von derjenigen etablierter Schweizer und internationaler Nachrichtenquellen unterscheidet. WĂ€hrend der Westen als Aggressor dargestellt wird, rechtfertigen diese Portale den russischen Einmarsch als eine notwendige Verteidigungsmassnahme.
Es sind scheinbar harmlose Webseiten, die durch ihre stĂ€ndige Wiederholung von Halbwahrheiten und Fehlinformationen Misstrauen schĂŒren. Die «Tages-Anzeiger»-Journalistin Michelle Muff betont in ihrem Artikel, dass diese «alternativen Medien» gezielt mit manipulativen Techniken arbeiten wĂŒrden: Sie prĂ€sentierten sich als die wahren AufklĂ€rerinnen, wĂ€hrend sie in Tat und Wahrheit ein verlĂ€ngerter Arm des Kremls seien.
Ein Grund fĂŒr den Erfolg dieser Medien ist ihre subtile Manipulationsstrategie. Die Techniken, die dabei verwendet werden, sind vielfĂ€ltig: von der Verzerrung der RealitĂ€t bis zum bewussten Auslassen wichtiger und zentraler Fakten. Oft handelt es sich um gut getarnte LĂŒgen, die so geschickt in den Informationsfluss eingebaut sind, dass sie kaum auffallen. Und die Strategie wirkt nachhaltig: Je grösser das Misstrauen, desto offener sind die Menschen fĂŒr neue und weitere alternative ErklĂ€rungen.
Russland hat diese Manipulationstechniken ĂŒber Jahre hinweg perfektioniert und setzt sie weltweit ein â nun vermehrt auch in der Schweiz. Inzwischen bewegen sich Hunderttausende auf solchen KanĂ€len und schenken ihnen Glauben.
Eine immer wichtigere Rolle in der Verbreitung von Desinformation spielen auch Einzelpersonen und ihre Netzwerke. Die Zuger Influencerin N.Y., die ĂŒber eine Million Follower erreicht, ist ein Beispiel dafĂŒr, wie gross die Auswirkungen der Propaganda sein können. Mit ihren prorussischen Inhalten, die sie ĂŒber YouTube und X teilt, beeinflusst sie ein internationales Publikum. Im Hintergrund hilft Russland bei der Verbreitung mit, indem die Inhalte von Accounts automatisch gelikt und geteilt werden, die von russischen Bots, also von Maschinen, betrieben werden.
Influencerinnen und Influencer werden so zur Konkurrenz von Nachrichtenportalen. Der Einfluss, den sie auf ihre Follower ausĂŒben, kann enorm sein â und oft werden die Botschaften ungefiltert und ohne kritisches Hinterfragen aufgenommen. Die Community hat den Eindruck, dass sie die Absender kennen und ihnen deshalb vertrauen können. Und da die angeblichen Fakten geschickt mit Emotionen kombiniert werden, lösen sie bei den Leserinnen und Lesern auch mehr aus als faktenorientierte, sachliche Darstellungen von eigentlich seriösen Medien.
Ein besonderes Ziel der russischen Desinformationskampagne ist die NeutralitÀt der Schweiz. Immer wieder wird betont, dass die Schweiz ihre Tradition, sich aus internationalen Konflikten herauszuhalten, verletze. Dadurch sei die Schweiz eine Gegnerin Russlands.
Die Studie der Hochschule Luzern zeigt auch, dass sich diese PropagandabemĂŒhungen in der Schweiz nicht nur auf den Ukraine-Krieg beschrĂ€nken, sondern auch andere politische Themen betreffen. So wird beispielsweise die Rolle der Schweiz in internationalen Organisationen wie der UNO oder der OSZE (Organisation fĂŒr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) immer wieder in Frage gestellt und als Teil einer westlichen Verschwörung dargestellt. Das Ziel ist klar: Die Reputation der Schweiz soll lĂ€ngerfristig Schaden nehmen.
Die Gefahr, die von dieser Desinformation ausgeht, darf nicht unterschĂ€tzt werden. Es geht nicht nur darum, dass «alternative Medien» falsche Informationen verbreiten â es geht um den gezielten Angriff auf das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Wenn BĂŒrgerinnen und BĂŒrger beginnen, den Informationen, die sie von professionellen Medien, offiziellen Stellen und Behörden erhalten, grundsĂ€tzlich zu misstrauen, entsteht eine Dynamik, die das Fundament der Demokratie untergraben kann. Die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die den etablierten Medien und Institutionen vertrauen, und diejenigen, die sich auf alternative Quellen verlassen, wird so immer grösser. Diese Spaltung schafft eine Polarisierung. In einem Land wie der Schweiz, das auf Konsens und Dialog setzt, ist diese Entwicklung besonders besorgniserregend.
Die Lösung liegt einerseits in einem bewussteren Umgang mit den Medien. Es reicht nicht mehr aus, Informationen einfach zu konsumieren â wir mĂŒssen lernen, sie kritisch zu hinterfragen. Dabei ist es wichtig, verschiedene Quellen zu vergleichen und sich ĂŒber die HintergrĂŒnde der Berichterstattung zu informieren. Wir sollten wissen, wer hinter den Informationen steckt, die wir tĂ€glich lesen, hören und sehen. Nur so können wir verhindern, dass wir selbst Opfer von Desinformation werden. Dieses kritische Hinterfragen umfasst selbstverstĂ€ndlich auch den Konsum klassischer Medien. Wenn die Zeitung XY etwas schreibt, oder Radio und TV einen Bericht verfassen, ist dies nicht automatisch objektiv und wahr. Auch dort kann die Berichterstattung einseitig sein. Deshalb lohnt es sich, gezielt mehrere Quellen, resp. Medien zu konsultieren.
Das effizienteste Mittel aus journalistischer Sicht, der Manipulation entgegenzuwirken, ist Recherche. Im folgenden Video gehen Florentin Erb und Jasmine Jacot-Descombes von der NZZ der Frage nach, ob Selenski wirklich MilliardĂ€r ist, wie das immer wieder mal behauptet wird. Der Beitrag wurde vor Kurzem mit dem Medienpreis fĂŒr QualitĂ€tsjournalismus in der Kategorie «Jungjournalistinnen und Jungjournalisten» ausgezeichnet.